Bands in der DDR.
Von paradiesisch bis schikanös
HINWEIS: Texte in blau und Großbuchstaben enthalten erklärende Infos per Mouseover.
Die Bands der 1940er bis 1980er im Osten Deutschlands spielten unter Bedingungen, die heute nur schwer vorstellbar sind – im Positiven wie im Negativen…
MUGGEN ÜBER MUGGENGeräte wie CD-Player und iPod waren noch nicht erfunden oder nicht zu beschaffen, Streaming ebenso unbekannt wie Diskotheken anfangs. Das hieß, wer tanzen wollte, war auf die handwerklichen Dienste von Musikern angewiesen. Und die wurden in beachtlicher Zahl benötigt, wie das Beispiel Görlitz zeigt:
Tägliche Tanzveranstaltungen gab es:
Hotel “Stadt Dresden”,
Hotel “Haus des Handwerks”,
Hotel “Görlitzer Hof”,
“Stadtcafe”,
“Taverne”,
“Bürgerstübel”,
“Goldener Engel”.
Wöchentlich 2 – 3 Tanzabende boten
“Haus der Jugend” genannt “Schuppen”,
“Konzerthaus”,
“Zwei Linden”,
Kulturhaus “Hans Georg Otto”,
“KEMA-Klubhaus”,
“Karl-Marx-Klubhaus”
u.a.
Es wurden folglich jede Menge Musiker benötigt, und es gab sie auch. Es versuchten sich viele an einem Instrument. Ihrem kulturellen Horizont hat es auch dann nicht geschadet, wenn es am Ende nicht zum Profi reichte.
Diese für Musiker eigentlich paradiesische Situation endete in den 80er Jahren mit der technischen Entwicklung und dem Entstehen erst mobiler, später auch ortsfester Diskotheken.
Ost-Musiker an der kurzen Leine…
Dass die Bedingungen für die Musiker in der real existierenden DDR nicht zu paradiesisch wurden, dafür sorgten die Kultur- (=Partei-) Funktionäre mit diversen Regularien und Schikanen: Am bekanntesten ist wohl die Regelung, wonach generell 60% des Repertoires aus Titeln von DDR-Komponisten zu bestehen hatten. Die restlichen 40% durften aus der Zeit vor 1949, dem DDR-Gründungsjahr, oder aus dem Westen stammen. Letztere aber nur, wenn sie in der DDR verlegt waren. 60% des Repertoires hätte folglich kaum einer gekannt, denn man orientierte sich fast ausschließlich an westlichen Hitparaden. Was blieb den Bands übrig? Sie setzten sich über die Vorschriften hinweg. Und das mit dem Risiko, ein Auftrittsverbot einzufangen, wenn sie erwischt wurden.
Sie akzeptierten dafür sogar, anlässlich so genannter gesellschaftlicher Höhepunkte “spontane” Texte zu unterschreiben, die ihnen von den Kreiskabinetten für Kulturarbeit als eigenes Elaborat untergejubelt wurden, wie das überzeugende Beispiel eines “Kampfprogramms” (rechte Spalte) zeigt.
Ausscheide zwischen Bands gab es auf Kreis-, Bezirks- und DDR-Ebene. Hier z.B. Presseberichte über die Bautzener Band HonkyTonky:
Presseinfo 1
Presseinfo 2
Presseinfo 3
Presseinfo 4
Presseinfo 5
Die Bands erfreuten sich natürlich auch der ausgezeichneten Aufmerksamkeit durch die Sicherheitsorgane der DDR. So gab es IM’s auch in der Szene. Da schrieb ein IM „Artur Abendroth“ – ein nicht nur in der Oberlausitz bekannter Musiker – herabwürdigende Berichte über einen Kollegen seiner eigenen Band. Aber die Stasi hatte auch unmittelbaren Einfluß, ob eine Band oder ein Musiker die Spielerlaubnis bekam oder nicht und wenn ja, zu welchen Bedingungen. Sie bestimmte letztendlich auch, ob eine Band bei herausgehobenen Veranstaltungen auftreten durfte oder nicht. Ein typisches Beispiel zeigt der Artikel Bands & Stasi!
Vor die Amateurmusikerlaufbahn hatten die Funktionäre zudem eine “Einstufung” gesetzt. Bestand man diese, gab es die sogenannte Spielerlaubnis, auch “Pappe” genannt, die zur Ausübung von Tanzmusik berechtigte. In ihr war ein Stundensatz festgeschrieben, der vom Veranstalter gefordert werden durfte. Er lag zwischen 3,00 Mark und 7,50 Mark pro Stunde, zuletzt 8,50 Mark. Die Gage eines fünfstündigen Tanzabends läßt sich daraus errechnen. Leider befanden über die Qualität einer Band weniger Fachleute als Funktionäre.
Die DDR-Wirtschaft konnte den Musikern weder ordentliche Instrumente, geschweige denn sonstiges Gerät zur Verfügung stellen. Notgedrungen duldete der Staat Schwarzimporte aus dem Westen, welche natürlich voll zu Lasten der Musiker gingen: Das so erworbende Equipment war zum Kurs von anfangs 1:6, später bis 1:10 (DM zu Ostmark) zu berappen. Ein Synthesizer DX 7 von Yamaha kostete auf diese Weise zwischen 20.000,- und 30.000,- Ostmark. Und das bei einem durchschnittlichen Einkommen des DDR-Werktätigen von 800,- Mark monatlich.
Was bleibt?
Es bleibt die Erinnerung an eine große Zeit der Livemusik. Und auch ein bisschen Hoffnung:
Immer wieder entstehen neue Bands mit teils beachtlichem Niveau. Der Erfolg von Livenächten in Kneipen vieler Oberlausitzer Städte lässt nach wie vor auf eine hohe Akzeptanz live gespielter Musik schließen.
Im real existierenden Sozialismus wurde ständig gekämpft: Um die Planerfüllung in den Betrieben genauso wie um die Beschaffung alles Lebensnotwendigen. Das allgemeine Kämpfen endete auch nicht in der Kultur. Wenn eine Band eine höhere Einstufung anstrebte, musste sie sich mit den Kulturfunktionären arrangieren. Die ließen die Musiker gern unfreiwillig komische Elaborate wie das folgende “Kampfprogramm” unterschreiben:
KAMPFPROGRAMM
Um den hohen Anforderungen an Jugendtanzkapellen bei der Interpretation von moderner Tanzmusik besser gerecht werden zu können, nehmen wir den Kampf um den Titel “Hervorragendes Volkskunstkollektiv” auf. Dabei haben wir uns folgende Aufgaben gestellt:
Qualifizierung
Alle Kapellenmitglieder qualifizieren sich auf musikalischem Gebiet (theoretisch und praktisch), um die Qualität des technischen und künstlerischen Leistungsvermögens zu erhöhen. Wir nehmen geschlossen am Ferienkurs für Instrumentalisten der Musikhochschule Dresden im Februar 1975 teil. Dadurch sollen die Voraussetzungen für eine positive Einflussnahme auf die Jugend bei der Geschmacksbildung im Bereich moderner Tanzmusik geschaffen werden als Teil der Heranbildung zur sozialistischen Persönlichkeit.
Intensive Vorbereitung auf das Tanzmusikfest im März 1975 in Riesa. Ziel ist es dabei, die erreichte Sonderstufe erfolgreich zu verteidigen und die Gelegenheit zum praktischen Erfahrungsaustausch zu nutzen.
Repertoiregestaltung
Bereicherung unseres Repertoires durch Verwendung von Themen der Klassiker und der Folklore zur Erhöhung der Vielseitigkeit.
Verstärkte Bemühungen auf dem Gebiet von Eigenkompositionen und Eigenbearbeitungen von bereits vorhandenen Werken.
Übernahme von Tanzmusikproduktionen der sozialistischen Bruderländer.
Gesellschaftliche Tätigkeit
- Wir erklären unsere Bereitschaft zur Teilnahme an folgenden kulturellen Veranstaltungen:
- Festival der Volkskunst sozialistischer Bruderländer im Mai 1975
- Leistungsvergleich der Jugendtanzkapellen der Stadt und des Kreises Görlitz im Juni 1975
- Eventuelle Einsätze bei Kulturveranstaltungen im Kreis Görlitz
- Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Kreiskabinett für Kulturarbeit Görlitz.
- Gewinnung einer Einrichtung oder eines Betriebes für die Übernahme einer Trägerschaft.
Görlitz, den 15.1.1975
REFLEXION
Gesangs– und Instrumentalgruppe
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